Carnivore Diet: Wie gesund ist es, nur Fleisch zu essen? (2024)

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Die Carnivore Diet ist der neuste Ernährungstrend aus den USA. Was für die einen wie jeden Tag Weihnachten klingt, ist für die anderen totaler Blödsinn. Doch was steckt hinter der Fleisch-Diät – und kann das wirklich gesund sein?

Im Internet findet man alles. Unter anderem auch Menschen, die nur Fleisch essen. Euphorische Berichte über nie erlebte Fitness, geistige Gesundheit und Spaß am Essen teilen sie mit der Welt. Wir fragen uns: Ist die »Carnivore Diet« nur eine kulinarische Eintagsfliege oder ist mehr dran?

Inhaltsverzeichnis Anzeigen

Die Carnivore Diet

In diesem Teil geht’s um die Grundlagen. Erst stelle ich eine Defintion vor (Was darf man bei der Carnivore Diet essen?). Danach geht es um die zugrundeliegende Theorie und die erhofften gesundheitlichen Vorteile.

Was heißt Carnivore Diät?

Du fragst dich, was genau die Carnivore Diet ist? Nun, es gibt keine einheitliche Definition. Dafür aber einen Merkspruch:

Bei der Carnivore Diet ist alles erlaubt, was mal gelaufen, geschwommen oder geflogen ist – und davon abstammt.

Anhänger dieser reinen Fleisch-Diät essen:

  • Rotes Fleisch (Rind, Schwein, Wild, Vögel)
  • Weißes Fleisch (Huhn, Truthahn, Fisch, Meeresfrüchte)
  • Innereien (Herz, Leber, Nieren, Zunge, Knochenmark, Hirn)
  • Eier*
  • Milchprodukte*
  • Gewürze und Würzmittel

*Es gibt Anhänger, die Eier und Milchprodukte essen, dann aber in Maßen. Und es gibt Puristen, die auch darauf verzichten.

Carnivore Diet: Wie gesund ist es, nur Fleisch zu essen? (1)

Theorie und Versprechen

Du fragst dich wahrscheinlich: »Warum soll das gut sein?« Schließlich widerspricht es so ziemlich dem, was man als gängige Ernährungsempfehlungen kennt: weniger Fleisch essen, dafür mehr Gemüse, Obst, Vollkornprodukte.

Die Carnivore Diet basiert auf drei Annahmen:

  1. Wir essen heutzutage zu viel Müll.
  2. Fleisch enthält alle Nährstoffe, die wir zum überleben brauchen.
  3. Pflanzen enthalten Stoffe, die giftig sind oder Allergien hervorrufen.

Stimmt soweit alles. Auf das Aber gehe ich weiter unten im Detail ein.

Mögliche Vorteile der Carnivore Diet:

  • Abnehmen fällt leicht
  • weniger Körperfett
  • bessere allgemeine Fitness
  • bessere Herzgesundheit (z.B. kein Bluthochdruck mehr)
  • Eindämmung gesundheitlicher Leiden, insbesondere bestimmter Autoimmunerkrankungen
  • Verschwinden ernährungsbedingter Allergien und Unverträglichkeiten
  • Therapie gegen Darmpilz (Candida albicans)
  • weniger Verdauungsprobleme (Blähungen etc.)
  • höherer Testosteronspiegel

Kommt dir die Liste bekannt vor? Weiter unten erkläre ich warum. Zumindest einen möglichen Grund.

Die Fleisch-Diät unter der Lupe

Klingt bisher ja alles ganz gut. 24/7 Steak, Bacon, Eier, Fisch und Meeresfrüchte essen und damit noch was für die Gesundheit. Ein Traum für manche Menschen!

Das erklärt die steigende Beliebtheit der Carnivore Diet, die derzeit vor allem in den USA Schlagzeilen macht. Bis der Trend hier Fuß fasst, ist nur eine Frage der Zeit. Bis dahin will ich die hohe Erwartungshaltung aber auf den Boden der Realitäten runterholen.

Die Carnivore Diet und wissenschaftliche Studien

Die gesundheitlichen Auswirkungen der Carnivore Diet sind nicht untersucht. Befasst man sich mit dem Thema, könnte man aufgrund der zahlreichen Erfahrungsberichte meinen, man hätte es mit vielen Studien zu tun.

Es gibt keine klinischen Kontrollstudien. Keine Langzeitstudien. Nichtmal eine nennenswerte Anzahl an Humanstudien. Die Argumente der Fleisch-Diät-Beführworter werden meist mit Erfahrungsberichten, Tierstudien und biochemischer Theorie belegt.

Meiner Meinung nach soll jeder essen dürfen, was er will. Es dann aber mit teils haarsträubenden Argumenten »wissenschaftlich« untermauern zu wollen, verfehlt die beabsichtige Wirkung. Aber das Problem kennt man ja auch von anderen Ernährungstrends.

Fleisch enthält alle Nährstoffe. Wirklich?

Weiter oben schrieb ich, die Carnivore Diet würde alle wichtigen Nährstoffe liefern. Für Protein, Fett, Mineralstoffe wie Zink und Eisen und Vitamine wie B12 und A mag das stimmen. Aber bei einem Stoff muss ein Fragezeichen dahinter: Vitamin C.

Vitamin C nehmen wir vor allem über Pflanzen auf. Zitrusfrüchte, Paprika, Beeren und sogar Kartoffeln enthalten reichlich Vitamin C. Aber Fleisch?

Bei der Fleisch-Diät, so ihre Anhänger, seien keine hohen Vitamin-C-Mengen notwendig. Durch den Verzicht auf Kohlenhydrate würde die Aufnahme von Vitamin C gefördert.

In Abstinenz von Kohlenhydraten wird der Ketonkörper beta-hydroxybutyrate (β-Hydroxybuttersäure) gebildet. Dieser Ketonkörper, der auch bei einer ketogenen Diät gebildet wird, soll zum Teil eine der Funktionen von Vitamin C übernehmen. Es geht dabei um die Bildung von Kollagen, einem Teil des Bindegewebes.

Soweit zumindest die Theorie. Inwiefern dieser Mechanismus die niedrige Vitamin-C-Aufnahme bei der Carnivore Diet puffert, ist nicht untersucht.

Ja, aber was ist mit den Inuit? Die essen doch auch nur Fleisch! Stimmt nicht ganz. Erstens essen die Inuit während der kurzen Saison auch z. B. Beeren. Und außerdem essen die wirklich alles mögliche an Fleisch. Unter anderem fettige Walhaut, die Vitamin C und Kollagen liefert.

Von den 13 Vitaminen, die wir zum Überleben brauchen, kommt eines wahrscheinlich zu kurz. Doch damit nicht genug. Auch die Vitamine E und Folat (Folsäure) nehmen wir fast ausschließlich über Pflanzen auf. Und wenn wir zu wenig Vitamin E aufnehmen, bekommen wir zudem Probleme bei der Aufnahme und Verwertung von Vitamin K.

Ein Teufelskreis. Denn Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente wirken nicht isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig.

Die Vorteile kommen dir bekannt vor?

Sämtliche populären Ernährungstrends haben eines gemeinsam: Ihre Anhänger feiern Verbesserungen.

Veganer, High- und Low-Carber, Trennköstler, Paleos – sie alle berichten von mehr Wohlbefinden, reinerer Haut, weniger Müdigkeit. Sie alle berichten von kurzfristigen Verbesserungen. Sie alle erzählen die Wahrheit.

Wie kann das sein? Alle positiven Erfahrungen resultieren aus ihrer negativen Geschichte.

Um seine Ernährungsweise ändern zu wollen, muss man unzufrieden mit dem Ist-Zustand sein. (Oder einfach neugierig, aber das ist die Ausnahme.) Die Carnivore Diet ist eine Eliminationsdiät, eine ziemlich krasse. Tatsächlich werden einige Probleme verursachende Lebensmittel weggelassen. Kein Wunder, dass sich, zumindest kurzfristig, eine Besserung einstellt.

Das ist aber keineswegs ein exklusive Phänomen, das nur auf die Fleisch-Diät zutrifft.

Eine Eliminationsdiät ist außerdem kein langfristiger Ansatz, sondern ein Reset. Darauf aufbauend kann die Ernährung dann wieder um nährstoffreiche und leckere Lebensmittel erweitert werden.

Die Erfolgsgeschichten von Anhängern der Carnivore Diet sind also nichts weiter als … Geschichten.

Wer heute versucht, mit wissenschaftlichen Quellen zu belegen, dass dieser Ernährungstrend gesund und unbedenklich sei, betreibt Augenwischerei. Es gibt schlicht und ergreifend keine Evidenz.

Der Darm braucht Ballaststoffe

In unserem Darm, besonders im Dickdarm, sitzen unzählig viele Bakterien. Wir nennen diese Kolonie im Kolon Darmflora. Und sie ist enorm wichtig für unsere Gesundheit, denn sie sind nicht nur maßgeblich an der reibungslosen Funktion des Immunsystem beteiligt, sondern schützen unseren Dickdarm vermutlich auch vor Erkrankungen wie Dickdarmkrebs.

Damit unsere Darmflora gesund bleibt, braucht sie Nahrung. Wie praktisch, dass sie genau die Bakterien das gerne essen, womit wir nichts anfangen können: Ballaststoffe. Die wiederum stecken überwiegend in Pflanzen. Wenn Anhänger der Carnivore Diet also keine Pflanzen essen, entziehen sie der Darmflora einen Teil ihrer Nahrung.

Das hat Veränderungen der Zusammensetzung der Bakterienkulturen zufolge. Und dass das Folgen und gesundheitlichen Risiken hat, ist unbestreitbar. Es ist nicht die beste Idee diese jahrtausendelange Beziehung zwischen Mensch und Bakterien auf’s Spiel zu setzen.

Übrigens sind Ballaststoffe auch wichtig für eine intakte Darmwand.

Carnivore Diet: Wie gesund ist es, nur Fleisch zu essen? (2)

Die schädlichen Stoffe in Pflanzen sind gar nicht so schlimm

Schon lange halten sich Schreckensgeschichten von schädlichen Stoffen in Pflanzen. Sie heißen Lektine, Trypsin-Inhibitorenund Phytinsäure, stecken in grünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen und sind ganz, ganz böse. Zumindest in der Theorie.

Pflanzen enthalten tatsächlich Stoffe, die von »ein bisschen ungesund« zu »giftig« reichen. Das macht aus Pflanzensicht auch Sinn. Schließlich wollen sich die allermeisten Pflanzen vor Fraßfeinden schützen. Also produzieren sie Bitterstoffe und andere Substanzen, die Fraßfeinde, also uns, abschrecken sollen.

Doch nicht nur wir finden diese Stoffe nicht gut, sondern auch Krebszellen. Manche der verteufelten Stoffe in Pflanzen haben sich in Studien als anticancerogen entpuppt. Die Datenlage zu diesen Stoffen ist allgemein dünn bzw. es fehlen oft randomisierte Kontrollstudien an Menschen.

Und insgesamt kann man aufgrund der heutigen Faktenlage davon ausgehen, dass die Vorzüge pflanzlicher Lebensmittel die Gefahren deutlich überwiegen.

Carnivore Diet und Umwelt

Dass eine Ernährungsweise, die primär aus Fleisch besteht, nicht umweltschonend ist, kann selbst der glühendste Fleischfan nicht abstreiten.Selbst wenn das Fleisch regional gekauft wird, selbst wenn es nicht der Massentierhaltung entstammt, gehen trotzdem enorm viel Wasser und Futtermittel für die Produktion drauf.

Für die Pflanzenproduktion brauchen wir natürlich auch Wasser, Land, Dünger, Fahrzeuge. Und trotzdem sind die Unterschiede in benötigten Ressourcen, vor allem Wassern, enorm. Zudem werden große Mengen der weltweit produzierten Pflanzen zu Futtermittel verarbeitet.

Warum geht es Menschen so gut, die nur Fleisch essen?

Aber wieso berichten immer mehr Menschen, dass es ihnen mit dieser Ernährungsform so gut gehe. Gehen wir davon aus, dass die Berichte der Wahrheit entsprechen und die positiven Effekte tatsächlich beobachtet werden, so will ich die Hintergründe kurz erklären.

Isst man nur Fleisch heißt das auch: wenige bis keine Kohlenhydrate. Das wiederum hat niedrige Insulinspiegel und die damit einhergehenden positiven Auswirkungen zur Folge. Niedrige Insulinspiegel beeinflussen auch die »Hungerhormone« Leptin und Ghrelin; du bist weniger hungrig.

Dem zugute kommt ein Effekt namens Food Habituation. In Studien konnte gezeigt werden, dass Menschen, die jeden Tag dasselbe essen, mit der Zeit weniger essen. Niedrige Insulinspiegel und Food Habituation sorgen vereinfacht gesprochen für eine niedrigere Kalorienaufnahme. Und die zu Gewichtsabnahme.

Zudem scheint es logisch, dass die Carnivore Diet bestimmte physiologische Vorgänge hervorruft, die normalerweise beim Fasten auftreten. Das liegt unter anderem an besagtem niedrigen Insulinspiegel. Eine solche Ernährungsweise heißt auf Englisch übrigens »fasting mimicking diet«, eine Essform, die das Fasten nachahmt.

Wie schon weiter oben beschrieben sind die Effekte nicht auf die Carnivore Diet zurückzuführen. Sondern auf niedrige Insulinspiegel, Food Habituation und das Nachahmen des Fastenzustands. Nichts davon erreicht man exklusiv mit der Carnivore Diet.

Fazit: Carnivore Diet

Ich glaube nicht, dass die Carnivore Diet zum Ernährungstrend der Massen mutieren wird. Den aktuellen Hype in den USA verdankt sie namhaften Befürwortern wie dem kanadischen Psychologieprofessor Jordan Peterson und seiner TochterMikhaila.

Aufgrund fehlender stichhaltiger Langzeiterfahrungen und der angesprochenen Risiken, nicht zuletzt auch wegen der Auswirkungen auf die Umwelt, dürfte die reine Fleisch-Diät nicht mehr sein als ein guter Cheat-Day. Mal so richtig die Sau rauslassen. Morgens, mittags, abends Steak. Was für echte Männer. Und morgen gibt’s wieder Salat.

Ich empfehle es niemandem. Aber ganz ehrlich, es ist nicht meine Aufgabe zu entscheiden, ob man es probieren will. Und wenn du den Artikel bis hierhin gelesen hast, gehe ich davon aus, dass du ganz gut einschätzen kannst, ob es eine gute Idee wäre.

Trends erzeugen Gegentrends. Nachdem die halbe Welt vegan ausprobiert hat, scheint jetzt die Zeit der Fleischeslust gekommen zu sein. Was danach kommt? Wer weiß.

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